Musikgeragogik: Erinnern mit Tönen

Menschen mit Demenz isolieren sich oftmals. Die Musikgeragogik versucht, mithilfe von Musik eine Brücke in die Vergangenheit des Demenzkranken zu bauen. Wir schauen uns näher an, was die Musikgeragogik ausmacht und wie sie wirkt.

Musik verbindet Menschen

Mit ausgebreiteten Armen, von ihrem nassen Haar umweht, steht Rose am Bug der Titanic. Das Orchester spielt auf. Hören Sie die Klänge? Wir haben eine eigene, individuelle musikalische Biografie: Lieder, die uns in bestimmten Lebenslagen begleiteten. Töne, die uns emotional packten, zum Lachen brachten, zum Tanzen. Oft findet Musik einen Weg der Verständigung – wenn es Worte nicht vermögen. Denn Musik ist unabhängig von der Sprache, dem Alter, dem Bildungsstand. Seit Menschgedenken ist sie ein Teil der menschlichen Kultur und eine der ursprünglichsten zwischenmenschlichen Ausdrucksformen. Sie verbindet Menschen.

So wirkt Musik auf Demenzerkrankte

Musik ist dabei nicht nur etwas für die Ohren, sie beeinflusst den ganzen Körper und den Geist. Forschungen kanadischer Wissenschaftler belegen, dass beim Hören von als schön empfundener Musik das Belohnungssystem im Hirn angesprochen wird. Hören wir also Musik, die wir mögen, reagiert das Gehirn ähnlich wie bei Rauschmitteln oder leckerem Essen. Je nach gewählter Musikrichtung kann diese die Stimmung der Zuhörenden beeinflussen. So beruhigt beispielsweise langsame Musik. Das liegt daran, dass aufgrund der sanften Melodie die Nebenniere das Hormon Noradrenalin ausschüttet. Durch das Hormon werden Stresshormone reduziert und unser Körper automatisch ruhiger. Aggressive und schnelle Musik wirkt entgegengesetzt: Nun wird in der Nebenniere und der Hypophyse das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet.

Musik steigert das Wohlbefinden von Pflegebedürftigen jeglicher Pflegegrade. Das kann dazu führen, dass die Pflegebedürftigen im Alltag umgänglicher, und sogar symptomatische Unruhezustände reduziert werden. So leistet Musik einen Beitrag zu einem harmonischen Miteinander und verbessert dadurch spürbar die Atmosphäre.

Musikgeragogik bei Demenz

Als Fachdisziplin vereint die Musikgeragogik Musikpädagogik mit Geragogik. Somit spezialisiert sich die Musikgeragogik auf die musikalische Bildung im Alter. Im Mittelpunkt stehen die Demenzerkrankten: Wie kann ihnen der Zugang zur Musik ermöglicht werden, sodass sie sich durch die Musik mitteilen können? Das kann zum einen über die eigene Stimme zum anderen über ein Instrument realisiert werden. Wichtig ist es, eine Situation zu schaffen, die die musikalische Biografie des Beteiligten anspricht. So kann aktives Musizieren die Vernetzung der Nervenzellen spürbar fördern und sogar Erinnerungen wecken.

Für demenziell erkrankte Menschen kann Musik viele Möglichkeiten eröffnen:

  • Aktivieren
  • Beruhigen
  • Kommunikation ermöglichen
  • Kulturelle und emotionale Teilhabe am Leben stärken
  • Sterbende begleiten

Im Gegensatz zur Musikpädagogik ist der Anspruch der Musikgeragogik jedoch nicht, dass die Senioren lernen, ein Musikinstrument oder ein Lied perfekt zu beherrschen. Vielmehr stehen hier die Freude an der Musik und ein gutes Lebensgefühl im Vordergrund. Durch die Musik sollen Gefühle ausgelöst und Erinnerungen hervorgerufen werden. Die Bandbreite der angesprochenen Empfindungen reicht von Trauer über Glück, Freude und Wut bis hin zur Motivation der Teilnehmer. Während des gemeinsamen Musizierens werden diese Emotionen dann thematisiert: Die Teilnehmer erzählen sich ihre Lebensgeschichten und teilen ihre Erfahrungen. Durch das regelmäßige gemeinsame musizieren und kommunizieren wirken Sie dem Verfall und Verlust von Nervenzellen entgegen.

Musikgeragogische Angebote nutzen

Viele Seniorenheime und Pflegeeinrichtungen bieten regelmäßig musikalische Angebote für die Heimbewohner an: wie etwa gemeinsame Musikabende. Einige Pflegeeinrichtungen haben sogar Musiktherapeuten in ihrem Betreuungsteam. Doch Sie können auch ohne eine gesonderte Ausbildung mit Ihrem pflegebedürftigen Angehörigen musizieren. Ihr musikalisches Talent ist dabei zweitrangig. Es geht um das gemeinsame Erleben, das Ansprechen der musikalischen Biografie Ihres Angehörigen und die Emotionen, die Sie über die gewählte Musik aufrütteln. Freuen Sie sich gemeinsam über den Versuch und nehmen Sie das Musizieren als Anlass zu einem intensiven Austausch.

Falls Sie Hemmungen haben, dann hilft eine musikalische Besetzung. Nutzen Sie beispielsweise CDs zum Mitsingen oder verwenden Sie einfache Instrumente. Ideal sind hier Klanghölzer oder andere Instrumente, die der Demenzkranke gut greifen und daher schnelle Erfolgserlebnisse mit dem Instrument erzielen kann.

Fördern Sie mit musikgeragogischen Angeboten bei Ihrem pflegebedürftigen Angehörigen ein würdevolles und schönes Leben, indem Sie dessen geistige und körperliche Fähigkeiten so lange wie möglich erhalten. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim gemeinsamen Musizieren.

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