Als pflegende Person erlebt man häufig Ausnahmesituationen. Werden pflegebedürftige Menschen aggressiv oder gar gewalttätig, stehen viele Menschen dieser Situation oft hilflos gegenüber. In unserem Ratgeber erfahren Sie, wie sich Wutausbrüche entschärfen und vorbeugen lassen.
Aggression hat viele Gesichter: Von der verbalen Drohung bis hin zu körperlichen Angriffen. Häufig wird Gewalt innerhalb der Familie tabuisiert – aus Scham oder um das Idealbild einer harmonischen Familie aufrechtzuerhalten. Diese Verleugnung verstärkt jedoch die Spirale der Wutausbrüche.
Vertrauensvolle Pflegebeziehung: Durch offenes Ansprechen und positives Formulieren
Schaffen Sie eine Vertrauenskultur, in der Sie und Ihr Angehöriger bzw. die pflegebedürftige Person Ängste, Schuld- und Schamgefühle ansprechen können und sich ernst genommen fühlen. Auch wenn es unangenehm ist: Sprechen Sie Konflikte offen und ehrlich an. Bleiben Sie dabei ganz bei sich und erklären Sie Ihre Gefühle, Ängste und Wünsche. Wenn Sie dieses Gespräch eingehen, können Sie auf Vorwürfe verzichten und eine Lösung finden, um die Aggression im Pflegealltag gemeinsam zu überwinden.
Mögliche Ansätze, um aggressives Verhalten in der Pflege anzusprechen
- „Es macht mich traurig / wütend / hilflos, wenn…“
- „Ich würde gern verstehen, warum du …, damit es dir leichter fällt, wenn ich…“
- „Ich wünsche mir, dass wir wertschätzend / liebevoll… miteinander umgehen.“
- „Was stört dich, wenn ich…? Was sollten wir anders machen?“
Versuchen Sie zunächst die Aggression Ihres Pflegebedürftigen als ein Ventil zu sehen. Wahrscheinlich sind es nicht Sie selbst, die die betroffene Person beschimpfen will. Vielmehr ist es ein Ausdruck der Krankheit und der Hilflosigkeit – Aggression als Symptom. Die wütende Person ist derart hilflos, dass dies der einzige Weg zu sein scheint, um die eigenen Interessen und Wünsche durchzusetzen. Sie sollen Angriffe und Übergriffigkeiten natürlich nicht bagatellisieren. Vielleicht hilft diese Sichtweise jedoch, einen Ausweg zu finden. Beachten Sie die Grundregel: Bewahren Sie Ruhe, damit die Situation nicht weiter eskaliert. Sobald die Wut abgeschwächt ist, können Sie sich auf die Ursachensuche begeben.
Ursachen für das aggressive Verhalten finden
Aggression ist oftmals eine Folge von Frustration – quasi der Ausbruch der angestauten Wut. Denn mit steigender Pflegebedürftigkeit wächst auch der zwangsläufige Verzicht. Viele Pflegebedürftige erfahren, dass sie ihre eigenen Wünsche und Erwartungen an das Leben und somit auch ihre Selbständigkeit aufgeben müssen. Die Folge: Missmut, Unzufriedenheit und Verbitterung. Wenn Sie die Ursache und die Auslöser aggressiven Verhaltens kennen, lassen sich Ausbrüche besser vorbeugen.
Darauf ist bei aggressiven pflegebedürftigen Personen zu achten
- Gefühle: Schmerzen, Langeweile, Angst oder Hunger? Muss die pflegebedürftige Person dringend zur Toilette, während Sie sie pflegen wollen?
- Stellen Sie gezielte Fragen: Wählen Sie einfache Fragen, auf die man mit Ja oder Nein antworten kann.
- Situationen mit häufigen Konflikten: Kommt es beim Essen reichen oder Waschen vermehrt zur Abwehr? Was stört den Patienten an der Situation?
- Verhalten: Mit welcher Körpersprache und Tonfall beginnt eine aggressive Situation?
- Scham: Viele Pflegebedürftige empfinden die Körperhygiene durch einen Angehörigen als entwürdigend. Entscheiden Sie gemeinsam, welche Aufgaben Sie selbst übernehmen können und bei welchen Aufgaben lieber eine externe Pflegefachkraft unterstützen sollte.
- Expertenmeinung: Sprechen Sie mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin, ob das Verhalten ein Symptom der Erkrankung ist oder ob es an der Einstellung der Medikamente liegen kann.
Tipps für den Wutausbruch: So reagieren Sie am besten in einer aggressiven Situation
Aggressives Verhalten bringt Pflegende an ihre Grenzen. Damit Sie selbst nicht in eine Dynamik aus Schuldgefühl und Scham gelangen, sagen Sie sich hin und wieder: „Ich bin ein Mensch und Menschen handeln emotional.“ Um in einer wutgeladenen Situation souverän zu agieren, gibt es verschiedene Strategien. Probieren Sie unsere Tipps aus und finden Sie Ihre passende Methode.
1. Tipp: Gehen Sie aus der Situation
Wenn Ihr Angehöriger oder die pflegebedürftige Person ungehalten oder ablehnend auf Sie reagiert, verlassen Sie, falls möglich, kurz die Situation. Mit einer freundlichen Erklärung, dass Sie gleich wieder da sind, nehmen Sie die Anspannung aus dem Konflikt und haben selbst Zeit, sich zu beruhigen.
2. Tipp: Drehen Sie die Gefühle um
Reagieren Sie wertschätzend. Versuchen Sie Körperkontakt aufzubauen, indem Sie den Pflegebedürftigen vorsichtig am Arm oder an der Schulter berühren. Tipp: Fassen Sie nicht in das Gesicht oder an den Kopf, das könnte als Angriff verstanden werden. Schaffen Sie eine ruhige Atmosphäre. Hektik und Stress lösen oft Aggressionen aus.
3. Tipp: Erklären Sie Abläufe mit einer tiefen Stimme
Eine tiefe Stimme wirkt respekteinflößender. Sprechen Sie dabei langsam und in kurzen Sätzen. Folgen Sie klaren Abläufen und kündigen Sie diese an. Erklären Sie, was Sie gerade tun und als nächstes tun werden. Unvorhersehbare Handgriffe könnten als bedrohlich und übergriffig angesehen werden.
4. Tipp: Zählen Sie langsam bis 10
Atmen Sie tief ein und zählen Sie langsam bis zehn. Oder gehen Sie gedanklich Ihre Lieblingserlebnisse mit dem Pflegebedürftigen durch.
5. Verständnis zeigen
Lassen Sie sich auf die Wut ein. Nehmen Sie diese ernst und versuchen Sie, die Pflege mit den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen zu verbinden. „Ich verstehe, dass du jetzt lieber … machen möchtest. Wie wäre es, wenn ich dich dafür noch schnell … würde?“ Zeigen Sie Verständnis und stärken Sie das Selbstwertgefühl der pflegebedürftigen Person, indem Sie die Selbstständigkeit fördern. Beispielsweise können Sie Gewohnheiten und Rituale der pflegebedürftigen Person beibehalten und sie zu mehr Eigeninitiative ermutigen.
Sie sind nicht allein. Nutzen Sie die Hilfe von Pflegefachpersonen, wenn Sie Ihre Angehörigen selbst pflegen sollten. Lassen Sie sich beispielsweise beraten, wie Sie mit konfliktgeladenen Situationen umgehen können. Bei einem Treffen mit anderen Pflegenden können Sie sich über Erfahrungen austauschen, aber auch Gefühle und Ängste ansprechen. In Pflegekursen lernen Sie professionelle Handgriffe und weitere Strategien zum Umgang mit aggressiven Verhalten in der Pflege kennen.
Foto von cookie_studio auf freepik
7 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Alles schön und gut, setzt aber voraus, dass die Person ansprechbar und geistig auf der Höhe ist. Was aber mit aggressiven dementen Personen machen, die auf Ansprache nicht reagieren und sich an nichts erinnern? Medikamentös ruhig stellen???
Hallo,
der Umgang mit aggressiven dementen Personen kann wirklich herausfordernd sein und setzt sorgfältige Planung voraus. Der nicht-medikamentöse Ansatz zur Behandlung von Aggressionen bei Demenz wird dennoch häufig bevorzugt, da er sich besser an die individuellen Bedürfnisse und die Lebenssituation der Personen anpassen lässt. Hierbei können Verhaltensstrategien angewendet, die Umgebung entsprechend angepasst und gegebenenfalls spezielle Schulungen für Pflegende in Anspruch genommen werden.
Beste Grüße
Mein Mann hat COPD III/IV und sitzt im Rollstuhl. Er leidet oft unter Panikattacken und wird dann aggressiv und beleidigend mir gegenüber.
Ich halte das nur schlecht aus, bin häufig überfordert damit.
Was kann ich tun?
Hallo,
das klingt nach einer sehr herausfordernden Situation für Sie und Ihren Mann. Setzen Sie sich in ruhigen Momenten mit Ihrem Mann zusammen und versuchen Sie, offen über seine Gefühle und Ängste zu sprechen. Dies kann dazu beitragen, Verständnis für seine Perspektive zu entwickeln und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Sie könnten sich außerdem nach Selbsthilfegruppen für COPD-Patienten und ihre Angehörigen erkundigen. Der Austausch mit anderen Menschen, die ähnliche Herausforderungen bewältigen, kann unterstützend sein.
Beste Grüße
Die Tipps sind ja schön und gut aber irgendwann ist der geduldigste Mensch auch am Ende. Immer wird Verständnis verlangt und man muss sich angreifen und beleidigen lassen. Wer hilft denn in solchen Situationen. Psychologische Hilfe ist nicht zu bekommen da weder Therapeuten noch Psychiater Termine anbieten.
Hallo,
es stimmt, dass es sich dabei um eine sehr belastende Situation handelt. Sowas steckt niemand einfach weg. Beratungsangebote für pflegende Angehörige können eine gute erste Möglichkeit sein, sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu erhalten.
So geht es mit unserem Sohn. Mit leichter geistiger Behinderung, fehlt da auch die Verständigkeit. Und es eskaliert immer mehr. Auch mit Gewaltausbrüchen. Notdienste stempeln es unter Pubertät ab und psychologische Unterstützung ist nicht zu erbekommen. Wir warten seit einem Jahr auf Termine. Es gibt keine.