Beim Begriff „häusliche Gewalt“ denkt man zunächst an prügelnde Ehemänner und Ohrfeigen für Kinder. Doch auch in Pflegebeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern oder Eheleuten sind Gewalterfahrungen keine Seltenheit. Pflegebedürftige Menschen haben das Recht auf eine gute Versorgung. Dazu gehört auch, dass sie vor Gewalt geschützt werden.
Hohe Dunkelziffer
Laut Experten berichtet etwa jeder zehnte pflegebedürftige alte Mensch von gewalttätigen Übergriffen gegen ihn aus seinem direkten Umfeld. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch, die Erhebung der Daten schwierig. Denn nicht selten sind Pflegebeziehungen Abhängigkeitsbeziehungen, die von Angst, Scham und Furcht vor dem „Abschieben“ ins Pflegeheim geprägt sind. Eine solche Abhängigkeit führt dazu, dass sich Pflegebedürftige gegenüber Dritten nicht zu ihren Gewalterfahrungen äußern. Hinzu kommt, dass viele Pflegebedürftige weitgehend in sozialer Isolation leben. Außerhalb der Beziehung zu den pflegenden Angehörigen und dem behandelnden Arzt haben sie häufig kaum soziale Kontakte.
Aufmerksamkeit erhöhen
Umso wichtiger ist es, dass Ärzte und Pflegepersonal aufmerksam sind und die Anzeichen für Missbrauch erkennen. Einfach ist das sicher nicht, denn die Formen von Gewalt in der Angehörigenpflege sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Schlägen über das Vorenthalten von Medikamenten, mangelnde Hygienemaßnahmen, zu geringe Flüssigkeitszufuhr bis hin zu psychischer Gewalt wie Entzug von Zuneigung und Aufmerksamkeit. All jenes, was dem Pflegebedürftigen Schaden oder Leid zufügt – körperlich, seelisch oder finanziell – wird als Gewalt eingestuft. Gerade ältere, pflegebedürftige Menschen sind besonders gefährdet, Opfer dieser Gewalt zu werden, da sie sich schlecht wehren und oft nicht mehr richtig mitteilen können. Bei Verdacht auf Misshandlungen sollte das medizinische Personal versuchen, den Pflegebedürftigen in Abwesenheit der Angehörigen zu seinem Wohlergehen zu befragen und auf mögliche Probleme anzusprechen. Die Aussagen der Pflegebedürftigen sind hierbei unbedingt ernst zu nehmen. Doch die Schweigepflicht dürfen Ärzte und Pflegepersonal nur dann brechen, wenn Gefahr für Leib und Leben des Pflegebedürftigen besteht.
Gewaltursachen
Natürlich sollte es gar nicht erst zu gewalttätigen Übergriffen in der häuslichen Pflege kommen. Diese resultieren häufig aus Überforderungssituationen, die eintreten, wenn die pflegende Person selbst körperlich oder psychisch erkrankt, den Spagat zwischen Beruf und Pflegetätigkeit nicht mehr leisten kann oder das Gefühl hat, das eigene Leben für die pflegebedürftige Person vollkommen aufgegeben zu haben. Außerdem kommt es häufig vor, dass bestehende Beziehungskonflikte zwischen Eltern und Kindern oder Ehepartnern in die Pflegebeziehung eingebracht werden. Dies ist fatal, denn durch die Pflegebedürftigkeit einer Person ändern sich die Machtverhältnisse in der Familie grundlegend.
Täterschaft verhindern
Im Sinne der Vorbeugung ist es für pflegende Angehörige umso wichtiger, auf das eigene Wohlergehen zu achten. Im Falle von Überforderungsgefühlen, Anzeichen für Depressionen, Erschöpfung oder Isolation sollten sie nicht zögern, sich Rat und Hilfe zu suchen – etwa in Form von Tagespflege, Urlaub, durch freiwillige Helfer, Beratungsstellen oder einen Psychotherapeuten. In der akuten Krisensituation sind die Kapazitäten hierfür allerdings beschränkt. Es gilt deshalb schon im Vorhinein, am besten zu Beginn der Pflegetätigkeit, einen Plan aufzustellen, der im Fall eines Falles befolgt werden kann. Ein solcher Notfallplan enthält alle wichtigen Ansprechtpartner, Pflegedienste und Verhaltensoptionen für den Ernstfall.
Ruf nach Altenhilferecht
Einige Experten fordern übrigens ein Altenhilferecht, das analog zum Kinder- und Jugendhilferecht das Wohlergehen und die Rechte von alten und bedürftigen Personen besonders unter Schutz stellt. Da im Zuge des demografischen Wandels mit immer mehr Pflegebedürftigen zu rechnen ist, ist ein solcher Vorschlag im Sinne einer Gesellschaft, die ihre schwächsten Mitglieder schützen möchte, sicherlich bedenkenswert.
Weitere Informationen zum Thema Gewaltprävention in der (Angehörigen)-Pflege finden Sie in einer Broschüre des Zentrums für Qualität in der Pflege.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Mir ist ein Fall bekannt, wo das Betreuungsamt Rosenheim der Ansicht ist, dass es bei der Pflege einer dementen Person nachvollziehbar ist, dass dem pflegenden Angehörigen mal die Hand ausrutsche. Denn die Pflege einer dementen Person sei ja auch sehr anstrengend. Und das, nachdem man das Betreuungsamt auf die gewalttätige Grundhaltung des Pflegenden mehrfach hingewiesen hat. Die Angehörigen haben alle Stellen darauf aufmerksam gemacht, dass die demente Frau seit mehreren Jahren psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt wird, keiner fühlt sich in der Pflicht, Kante zu zeigen.
Hallo,
das klingt nach einer wirklich sehr belastenden Situation und sollte natürlich entsprechend ernst genommen werden. Pflegebedürftige Menschen haben das Recht auf eine gute und gewaltfreie Versorgung.
Beste Grüße